„Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.“ (MEW 1, 379)
Call for Papers #3: Schwerpunkt Postmarxismus
Das Unterfangen, den Marxismus als wissenschaftliche Analyse zu begreifen, sieht sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einem Marxismusverständnis konfrontiert, das nicht nur die Entwicklungen in den realsozialistischen Staaten ablehnt, sondern grundlegende marxistische Theoreme in Frage stellt. Das Ende der UdSSR und damit des Kalten Kriegs förderte diese Entwicklung, die häufig unter dem Begriff „Postmarxismus“ zusammengefasst wird.
Doch es herrscht große Uneinigkeit darüber, welche Strömungen und Autoren dem „Postmarxismus“ überhaupt zuzurechnen sind. Lenken wir unsere Aufmerksamkeit also besser auf bestimmte Argumentationsmuster und Gedankeninhalte, die zusammengenommen eine spezifische „post“-marxistische Differenz zum (klassischen) Marxismus begründen. Die zentrale epistemologische Gemeinsamkeit des postmarxistischen Denkens besteht darin, dass es sich radikal konstruktivistisch verortet: Es gibt keinen unmittelbaren Zugang zur realen Welt, dieser wird immer im Diskurs erzeugt. Daher gibt es auch keine objektiv richtige Wahrheit außerhalb des Diskurses und keine objektiv richtige Ideologiekritik; der Begriff der Ideologie verliert seine politische Sprengkraft.
Die Abkehr vom Primat der Ökonomie und des Klassenkampfes unter dem Titel eines „ökonomischen Reduktionismus“ führt zudem dazu, dass im Postmarxismus unterschiedliche gesellschaftliche Kämpfe als gleichwertig angesehen werden. Zur prominenten Trias gender, race, class werden immer neue Formen der Diskriminierung weitgehend additiv, also ohne Hierarchisierung und Vermittlung, hinzugefügt. Ob dabei die Möglichkeit verlorengeht, die jeweilige Bedeutung dieser Kämpfe in Hinblick auf Erhalt und Überwindung bürgerlicher Herrschaft theoretisch fundiert einzuschätzen, stellen wir zur Diskussion. Diese praktisch-politische Problematik des Postmarxismus verschärfte sich seit dem sog. „Ende der Ideologie“ und der abnehmenden Bedeutung des klassischen Industrieproletariats in politischen Kämpfen und bedarf nicht zuletzt deshalb der Analyse, da die behauptete Gleichwertigkeit aller gesellschaftlichen Kämpfe und Forderungen einer liberalen oder bestenfalls sozialdemokratischen Position das Wort reden kann.
Diese und andere Zugänge des Postmarxismus sollen im Rahmen des Schwerpunkts aus marxistischer Sicht diskutiert werden. Auch gilt es zu erörtern, inwiefern der Begriff Postmarxismus überhaupt heuristisch sinnvoll ist, bzw. welche Momente innerhalb der Debatten zwischen Marxismus und Postmarxismus für eine Gesellschaftsveränderung im Sinne des Marxschen Denkens von Relevanz sind.
Call for Papers #2:
Schwerpunkt Arbeit und Technokratie
Das Jahrbuch für marxistische Gesellschaftstheorie steht allen offen, die sich mit aktuellen Themen kritischer Gesellschaftstheorie befassen und unorthodox an marxistischen Themen und Theoremen weiterarbeiten wollen. Für die zweite Ausgabe laden wir dazu ein, uns Beiträge zum Schwerpunkt Arbeit und Technokratie zu übermitteln. Arbeit stellt die Zentralkategorie nicht nur des Marxschen Denkens dar; jeglicher sozialphilosophischer Ansatz muss sich zur Arbeit und ihrer gesellschaftlichen und geschichtlichen Bedeutung verhalten.
Wir freuen uns daher zunächst über Beiträge, die die Konzeption des Arbeitsbegriffs (oder der Arbeitsbegriffe) und ihrer jeweiligen theoriestrategischen Konsequenzen herausarbeiten.
Sehr interessiert sind wir auch an Texten, die zeitdiagnostisch die aktuelle Entwicklung des technischen Produktionsapparates thematisieren. Zur Debatte steht die These, dass die Maschinerie den Fabrikhallen mittlerweile entwachsen ist und sich zu einem allumspannenden, ubiquitären Netz entwickelt hat, welches den Arbeitsprozess entgrenzt und seine formelle und reelle Kontrolle auf alle Lebensbereiche ausübt. Ist folglich Marx’ Diagnose im sogenannten Maschinenfragment (MEW 42, Seite 590 – 609), die Tätigkeit der Arbeitskraft sei „nach allen Seiten hin bestimmt und geregelt durch die Maschinerie“, auf das gesellschaftliche Lebens insgesamt auszuweiten? Sind somit Mensch und Natur nicht mehr bloß äußerliches Objekt des entwickelten Apparates, sondern werden sie zu integralen Bestandteilen seines Entwicklungsprozesses selbst? Die entgrenzte Anwendung der großen Maschinerie auf die Gesellschaft insgesamt erfordert es, den Begriff der Technokratie näher zu beleuchten. Worin liegen seine Ursprünge und wie lässt er sich ideengeschichtlich ableiten? Woran kann man, nachdem sich die Freiheitsversprechen des Silicon Valley als Ideologie herausgestellt haben, festmachen, ob eine Technologie auch tatsächliches Befreiungspotential mit sich bringt? Welche technologisch bedingten Veränderungen machen sich im Arbeits- oder auch Verwertungsprozess bemerkbar und wie lässt sich die Vorstellung der massenhaften Freisetzung von Arbeitskraft damit vereinbaren, dass selbst Freizeit immer mehr als Arbeitszeit wahrgenommen wird? Besonders interessant finden wir die Frage, ob und inwieweit die Veränderungen im Arbeitsprozess emanzipatorische Prozesse befördern oder hemmen. Welche Technologien bieten das Potential für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen und in welcher Weise lassen sie sich mit einem angemessenen Klassenbegriff verbinden?
Wir freuen uns auf zahlreiche Beiträge, die diese oder andere Fragen behandeln, und ersuchen um Übermittlung bis zum 1. September 2022 an redaktion@jahrbuch-marxistische-gesellschaftstheorie.net. Abstracts oder Vorschläge für Beiträge können bis zum 31. Mai 2022 eingereicht werden. Zudem ersuchen wir die AutorInnen, die Obergrenze von 50.000 Zeichen inkl. Leerzeichen für Artikel, von 25.000 Zeichen inkl. Leerzeichen für Debatten-Beiträge und von 20.000 Zeichen inkl. Leerzeichen für Buchrezensionen nicht zu überschreiten. Dies ist ausdrücklich als Richtwert, nicht als starre Vorgabe zu verstehen. Im Hinblick auf die formale Gestaltung der Beiträge möchten wir auf die kurze Zitier-Richtlinie auf unserer Website hinweisen. Die Redaktion begutachtet die eingegangenen Beiträge und kontaktiert die AutorInnen über deren Annahme oder Ablehnung.
Call for Papers #1: Schwerpunkt Staatskritik
Das Jahrbuch für marxistische Gesellschaftstheorie steht allen offen, die sich mit aktuellen Themen kritischer Gesellschaftstheorie befassen und unorthodox an marxistischen Themen und Theoremen weiterarbeiten wollen. Für die erste Ausgabe laden wir dazu ein, uns Beiträge zum Schwerpunkt „Staatskritik“ zu übermitteln. Auf die allgemeinste Weise ausgedrückt kann der bürgerliche Staat als die politische Gewalt der kapitalistischen Produktionsweise begriffen werden. Indem er das Gewaltmonopol für sich beansprucht und mit omnipräsenter Zwangsandrohung die Rechtsordnung durchsetzt, ist er Staatsgewalt. Kritische Gesellschaftstheorie auf der Höhe der Zeit hat die Fragen nach dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft, der Legitimität des Staatshandelns und den Wurzeln und Quellen staatlicher Macht permanent zu reflektieren. Sie ist angehalten, diese oftmals diskutierten und kontrovers beantworteten Fragen wieder aufzugreifen, sie neu zu durchdenken oder neu zu stellen: Hat die „Corona-Krise“ jene Konstellation intensiviert, die die kapitalistische Gesellschaft substanziell auszeichnet? Ist eine Kritik an den staatlichen Maßnahmen auf die rechtsdogmatische Frage nach ihrer Verhältnismäßigkeit beschränkt? Stellt sich die Frage nach der Legitimität des Staats neu? Wie kann kritische Gesellschaftstheorie von der Orientierung auf die „gute Herrschaft“ befreit werden?
Wir freuen uns auf zahlreiche Beiträge, die diese oder andere Fragen behandeln und ersuchen um Übermittlung bis zum 30. Juni 2021 an redaktion@jahrbuch-marxistische-gesellschaftstheorie.net. Abstracts oder Vorschläge für Beiträge können bis zum 31. März 2021 eingereicht werden. Zudem ersuchen wir die AutorInnen, die Obergrenze von 50.000 Zeichen inkl. Leerzeichen für Artikel, von 25.000 Zeichen inkl. Leerzeichen für Debatten-Beiträge und von 20.000 Zeichen inkl. Leerzeichen für Buchrezensionen nicht zu überschreiten. Dies ist ausdrücklich als Richtwert, nicht als starre Vorgabe zu verstehen. Zur formalen Gestaltung der Beiträge ist auf das Stylesheet des mandelbaum Verlages verwiesen. Die Redaktion begutachtet die eingegangenen Beiträge und kontaktiert die AutorInnen über deren Annahme oder Ablehnung.
Zugleich freuen wir uns auch über Beiträge, die sich auf unseren Allgemeinen Call for Papers beziehen.